Mein Shampoo kann mehr als ich

Nur das Haar waschen? Von wegen! Shampoos sind wahre Meister in der Kunst des Multitasking. Da kann man fast schon neidisch werden, findet unsere Autorin

 

Die Auswahl im Supermarkt war groß, ich hatte es eilig, und nur so viel habe ich verstanden: Es ist ein Anti-Schuppen-Shampoo gegen fettendes Haar. Bisher dachte ich, Menschen hätten Schuppen oder fettendes Haar. Ich dachte, Schuppen und Fett seien so schwer vereinbar wie Kinder und Karriere.

Aber heute kann eben jeder alles leisten – Zweitjob, Zweitleben, Zweitproblem auf dem Kopf. Two-in-One ist die neue Mindestkompetenz. Aber ich habe fettendes Haar und basta. Ich habe keine Schuppen, und ich will auch keine integrierte Kurspülung. So etwas habe ich schon ausprobiert – und meine Haare waren wieder fettig, bevor sie trocken waren.

Natürlich suchte ich ein Shampoo, das zu mir passt. Ich überflog die Etiketten der Flaschen, auf denen heute so viel steht wie früher auf der Rückseite.

Das Shampooregal biegt sich schier unter all den Produkten mit „integriertem Plus“, „Mehr“ und „Extra“. Auch beim Gekühlten, bei den Konserven oder Kurzwaren, überall im Supermarkt stapeln sich Waren mit Zusatznutzen. Aus Versehen kaufte ich bereits Tomatenmark mit Knoblauch und, obwohl ich da meinte, besser aufgepasst zu haben, Tomatenmark mit Würzgemüse, Sauerkraut mit Prosecco und Gurken mit pikantem Grillgeschmack. Die 7-in-1-Spülmitteltabs mit integriertem Klarspüler und Maschinensalz und vier weiteren integrierten Funktionen, die sich mir nicht erschlossen, vertrug meine Spülmaschine nicht. Alle Produkte können alles. Nur ich schaffe es noch nicht einmal, inmitten der Alleskönner das zu finden, was ich wirklich brauche. Der Joghurt will die Verdauung regeln, das Kaugummi die Zähne weißen, die Strumpfhose Cellulite bekämpfen. Sehe ich etwa aus wie ein verbeulter Olm mit gelben Zähnen und trägem Stoffwechsel? Bevor ich den Supermarkt betrat, war mein Selbstvertrauen stabil. Am Ende stand ich mit gebeugtem Rücken vor dem Shampooregal.

Schließlich kaufte ich das in der apfelgrünen Flasche. Apfelgrün war das Shampoo meiner Kindheit, und wenn der Erwachsene nicht weiterweiß, denkt er eben an früher. Auf dem Shampoo meiner Kindheit war eine fröhliche Familie zu sehen. Alle hatten Schaum wie einen Klecks Schlagsahne auf dem Kopf. Darunter standen der Markenname und ein Haartyp. Mehr nicht. Das Shampoo duftete nach Apfel. Nach dem Haarewaschen saß ich im Frotteemantel auf dem Sofa und schaute „Daktari“ im Fernsehen. Sehr gemütlich. Zu gemütlich für eine Hochleistungszukunft.

Mein neues Shampoo ist besser als ich. Es ist ein Meister im Multitasking. Was das alles schafft! Wie es das wohl hinkriegt? Mit seinem französischen Namen erscheint es so elegant und ist doch so patent. Es kräftigt und nährt nahezu mütterlich, ist sexy rebellisch auf Anti-Schuppen und Anti-Rückfall getrimmt und trotzdem unverbraucht, weil neu. Es hat genug Vitamine, Piroctone mit Olaminen und garantiert kein erhöhtes Cholesterin. Mühelos schafft es den Spagat zwischen Schuppen und Fett. Und bei all dem Leistungsdruck, der Mehrfachbelastung, der globalen Konkurrenz duftet es noch mint fresh. Es hat niemals ein Burn-out-Syndrom, sondern brennt höchstens in den Augen. Ein echtes Powershampoo für Powermenschen. Ich raufe mir das Haar. Ich will auch mehr schaffen im Leben! Ich will Fett und Schuppen!