Die Kleider im Schrank versteckt

Ursula Schramm sammelte zwanzig Jahre lang Kleider von Yves Saint Laurent. Sie sparte, kaufte reduziert und zog die Kleider nie an. Jetzt wird in Paris die Kunstsammlung des verstorbenen Modedesigners versteigert. Sein größter Fan ist dabei – natürlich nur zum Schauen.

 

Der Laden war voller als sonst. Ursula Schramm stand vor der Yves-Saint-Laurent-Boutique in Köln. Im Schaufenster betrachtete sie die reduzierten Preise der Winterware. Die Strickjacke in der Farbe Schlamm kostete noch 198 Mark. Sie atmete tief ein und blies eine Wolke letzter Zweifel in die Februarluft. Schlamm stand ihr zwar nicht, aber der Preis stimmte. Ursula Schramm kaufte an diesem Tag ihr erstes Saint-Laurent-Modell. Das war im Winter 1970. Sie war gerade 26 Jahre alt. Nachdem sie im Fernsehen den schüchternen Ausnahmedesigner Yves Saint Laurent gesehen hatte, suchte Ursula Schramm in Modemagazinen gezielt nach seinen Entwürfen. In der Boutique in Köln hing ein Bild von Saint Laurent. Ursula Schramm fühlte eine starke Nähe. Auch sie zog sich lieber zurück. Sie ahnte, dass in der Mode dieses Mannes Möglichkeiten liegen. „Jetzt stehe ich am Rand, aber irgendwann zeige ich es Euch“, sagte sie sich. Saint Laurent litt an dem Leben, von dem sie träumte.

Ursula Schramm war es nie wichtig, im Mittelpunkt zu stehen. In ihrer Geschichte spielten ihre jüngeren Brüder die Hauptrollen. Als junges Mädchen wollte sie auf eine Modeschule gehen, aber die Mutter riet ihr zu studieren. Lehramt. Als Kompromiss wählte sie die Fächer Textilgestaltung und Kunst. Noch während des Studiums lernte sie ihren Mann kennen. Wie für viele Frauen ihrer Generation war für sie klar: wenn die Kinder kämen, hörte sie mit der Arbeit auf.

Die Kinder kamen nicht. Ihre Erfolge als Lehrerin brachten Spaß, aber Spaß ist ein kleines Gefühl. Ursula Schramm kündigte. Ihr Mann war beruflich sehr engagiert, sie unterstützte ihn und fragte abends: „Schatz, wie war Dein Tag?“ Er reiste viel, sie begleitete ihn oft und besuchte in den Großstädten YSL-Geschäfte. Jede Kollektion des großen Designers nahm sie mit in eine andere Welt. Sie stromerte durch die Sonnenblumenfelder Van Goghs und das Atelier von Matisse, durch russische Bauerndörfer und die afrikanische Steppe. Sie spürte die Freiheit in Farben, Formen, Stoffen.

Yves Saint Laurent, meint Ursula Schramm, habe sie stark gemacht. Niemand sah es, aber sie wusste es. Die Farben. Die Schnitte. „Sie verändern sich, wenn Sie diese Kleider tragen. Sie bewegen sich anders. Die Abendkleider aus Crêpe de Chine, wenn Sie ein nervöser Typ sind, das beruhigt. Es schmeichelt, kühlt.“ Einmal trug sie das Tigerkleid, das auch Catherine Deneuve hatte.

Sie fühlte sich gut in dem Kleid, fast wie eine Femme fatale. Das Kleid verscheuchte Selbstzweifel wie lästige Mücken. Sie wehrte sich gegen dieses Kleid wie gegen ein übergroßes Kompliment und gab auf.

Zweimal im Jahr kaufte Frau Schramm ein. Sie hielt gezielt dafür das Geld zusammen. So wichtig ihr die Kunst der Mode war, so überflüssig erschienen ihr teure Hautcremes, Make-up und Friseurbesuche. Die Wohnung putzte sie selbst. „Man kann das Geld nur einmal ausgeben“ sagt sie. „Ich hatte kein schlechtes Gewissen.“

Herabgesetzt waren am Saisonende immer die spektakulären Modelle. „Tragen konnte man sie nicht, aber es war alles nur schön“, sagt Ursula Schramm. Sie kaufte zum Beispiel einen Lackblazer, den niemand wollte. Er stand ihr überhaupt nicht. „Ich bin doch viel zu klein. Der Blazer war fast wie ein Smoking geschnitten“. Oder der Pagenanzug. Den trug sie einmal in der Hamburger Oper. Die Frau in der Reihe hinter ihr lästerte: „Guck mal, die Frau vor uns, die ist direkt von der Bühne gesprungen. Sie sieht aus wie Mozart.“ Die mutigen Entwürfe des Franzosen Saint Laurent überforderten den deutschen Geschmack. Sie trug den Anzug auch in Wien, als Pavarotti sang. Mehrere Damen trugen Saint Laurent. Man guckte sich an und verstand. In solchen Momenten dachte sie kurz, sie dürfe vom Leben noch mehr erwarten.

Die Kleidung für ihr Leben nähte sie selbst. Nach Saint-Laurent-Schnitten. Einen Redingote-Mantel nähte sie versehentlich gegen den Strich. Die YSL-Verkäuferin in München fragte: „Wo haben Sie den Mantel denn gekauft?“ Frau Schramm zuckte zusammen. Sicher hatte die Verkäuferin ihren Fehler entdeckt. „Die Farbzusammenstellung ist ja toll, die hatten wir gar nicht geordert.“ Irgendwann kannte man Frau Schramm in den Yves-Saint-Laurent-Läden. Hamburg und München schickten ihr am Ende der Saison eine Auswahl reduzierter Modelle. In Stuttgart hatte sie nur anderthalb Stunden Aufenthalt. Zu wenig Zeit, um sich zu entscheiden. Die Verkäuferin packte die Sachen in große Tüten – sie solle in Ruhe zu Hause überlegen. Da saß sie im Zug mit Bergen von Tüten um sich herum. Im Pariser Laden, hieß es, seien die Verkäuferinnen arrogant. „Stimmt nicht“, sagt Schramm. „Die Verkäuferin war so reizend. Sie wollte mir den Mantel für den nächsten Tag besorgen.“

In den Kölner Laden brachte sie oft Petit Fours mit. Dann saß sie zusammen mit der Verkäuferin am Schrankboden, am Saum der Kleider, und genoss den Blick auf Kellerfalten, Passen und handbezogene Druckknöpfe. Wie auf Ölfarbe und Pastell im Museum. Ursula Schramm sah, wie livrierte Chauffeure der Stammkundinnen Auswahlsendungen zurückbrachten. Sie sah auch pralle Aktenordner mit unbezahlten Rechnungen. „Schönheit ist wie Licht“, sagt sie. Sie ist fasziniert von der Linie, von dem Können des Designers. „Facetten, die in Ihnen sind, beginnen zu strahlen“.

Ursula Schramm fand die Kleider nie zu teuer. Wenn man die Stunden rechnet, die Designer, Schnittdirektricen, Sticker, Schneider brauchen, kommt man auf den Betrag, meint sie. Wie lange arbeiten all diese Experten an dem Rock, in dem sie sich fühlt wie im Traum von sich selbst? Aber volle Preise wollte sie trotzdem nie zahlen. „Ich habe immer auf den Preis geschaut. Jetzt in der Finanzkrise merken die Menschen vielleicht, dass es gut ist, für etwas zu sparen. Man freut sich mehr an Dingen, die einem nicht in den Schoß fallen.“

Die Leidenschaft für Kleiderkunst ist ein einsames Unterfangen. Nur eine Freundin hat sie in ihr Geheimnis eingeweiht. „Hauptsache man ist unabhängig“, sagte ihr Mann. Er war nie eifersüchtig auf Saint Laurent. Seine Freunde haben früher gesagt, er solle doch froh sein, dass seine Frau sich in Kleider verliebt wie andere Frauen in charmante Nebenbuhler. Kleider kann man wieder in den Schrank sperren.

1991 hörte Frau Schramm auf zu sammeln, mit 47 Jahren. Die Röcke waren so kurz, die Schultern breit. Um Frau Schramm ging es nicht mehr. Sie war nicht mehr gemeint. Die Kleider waren für andere Frauen. Da nähte sie nur noch selbst. Die Farben, Schnitte, alle Saint Laurent. Sie blieb ihm treu. Wen soll man auch kaufen, wenn man zwanzig Jahre lang Saint Laurent gesammelt hat? Kurze gerade Jacken zu schmalen Hosen und ausgestellten Röcken, das ist die Silhouette ihres Lebens.

Im vergangenen Jahr schenkte Ursula Schramm dem Kölner Museum für Angewandte Kunst zweihundert Saint-Laurent-Modelle. Es fiel ihr nicht schwer, die Kleider dem Museum zu geben. Sie bleiben ja. Sie hätte die Kleider auch verkaufen können, aber wer kauft schon alte Kleider um sie zu bewahren? Stars, Selbstdarsteller, Jäger des Statussymbols haben es auf Designerware vergangener Jahrzehnte abgesehen. „Aber das sind Leute, die ich nicht will“, sagt Schramm. „Hinterher landet doch alles in der Altkleidertüte. Das haben diese schönen Dinge nicht verdient.“

Es ist eine besondere Leidenschaft, die Ursula Schramm an Yves Saint Laurent bindet. Als sie vor einiger Zeit einen Gehrock von Steffen Schraut kaufte, kam es ihr vor, als würde sie fremdgehen. Der Mantel ist aus Pannesamt. Man kann sich nicht setzen. Nun hängt er im Schrank, aber das hat Frau Schramm noch nie gestört.

Von Montag an wird in Paris die Kunstsammlung Saint Laurents versteigert. Ursula Schramm wird selbstverständlich dabei sein. „Dass ich mir nichts kaufen kann, ist ja völlig egal“, sagt sie. „Für mich wäre es vielleicht ein Abschluss.“