Zur Sache, Püppchen!

Nicht nur Barbie muss sich in Stilfragen dem Einfluss von Britney Spears und Paris Hilton unterwerfen: Um die Tweens zu erobern, lassen sich Spielwaren- und Modehersteller allerhand Neues einfallen

 

Sie heißen „Bratz“ oder „My Scene“ und sind verrückt nach Mode, Shopping, Beauty und Partys. Karrierefrau Barbie hat’s noch bis auf den Mond geschafft. „Bratz“ und „My Scene“ pfeifen auf derlei Erfahrungen – sie fahren lieber ins Einkaufszentrum und in die angesagten Läden der Stadt. Tussipuppen, unken Kritiker. Sie sind wie die Mädchen von heute, sagen ihre Fans. Und natürlich ihre Hersteller.

Neue Anziehpuppen haben sich in den Spielzeugregalen breitgemacht. Sie sind aufgebrezelt wie Liz Hurley, angemalt wie Britney Spears, superhip wie Paris Hilton. Ausgestattet mit großen Köpfen, dicken Lippen, Oversize- Augen und den aktuellen Make-up- und Modetrends ist die neue Puppengeneration angetreten, einen heiklen Job zu erledigen: Sie soll eine Gruppe weiblicher Spielzeugmuffel wieder in die Geschäfte locken, eine Art Gernegroß, nicht mehr Kind und noch nicht Teenager. Marketingexperten nennen sie „Tweens“, vom englischen „between“ (dazwischen). Gemeint sind Mädchen zwischen sieben und 14 Jahren. Barbie hat sich im vergangenen Jahr von Ken getrennt, nur um den „Tweens“ zu imponieren.

Denn die schmeißen erfahrungsgemäß ihre Barbies inzwischen schon mit sechs in die Ecke. Die Fast-Teenager sind heute schon zu lässig, um mit Puppen zu spielen. Barbie ist Babykram. Total uncool. Deshalb hat Barbie-Hersteller Mattel „My Scene“ erfunden, sozusagen die „stylische“ Schwester von Barbie. Vielleicht können die hippen „My Scene“- Girls den Spieltrieb der nicht mehr ganz kleinen Mädchen ja wieder wecken.
Wenn nicht, dann kaufen sie vielleicht wenigstens Taschen, MP3-Player, Schulartikel, DVDs – von My Scene. Die Erzkonkurrentinnen „Bratz Girls“ arbeiten derweil als „Bratz Rock Angelz“ an einer Musik-CD.

Lebensstil wird zum Kinderspiel.

Die neue Coolness der Kids inspiriert die bisher nicht auf Style geeichten Spielzeugmacher zu ganz andersartigen Kreationen: Beim Brettspiel „Party, Party, Party“ müssen die Kleinen auf dem Weg zur Fete möglichst viele Accessoires in ihren Täschchen sammeln: Lippenstifte, Wimperntusche… Was man eben so braucht als Fünf- bis Neunjährige. Der Chemiekastenspezialist Kosmos bringt mit der „Beauty Box“ einen Hauch Glamour in die Naturwissenschaft: „Misch dir dein eigenes Lipgloss!“ Lego ist trendy mit „Clikits“: coole Tasche, Beautyset, ultimative Schmucksammlung, alles zum Selbermachen. Sogar Modellbauer Revell bringt neuerdings neben Hubschraubern, Lkws und Eisenbahnausstattungen modische Halsketten und Armbänder für die Eigenproduktion heraus. Mit der Reihe „Fashion Fun“ von Magic World Toys können Mädchen ihre Garderobe und sich selbst auf Vordermann bringen. Zur Auswahl stehen zum Beispiel die Pakete „Jeans-“, „T-Shirt-“ oder „Knopf-Designer“ sowie ein Nagelstudio.

Hauptsache, Fashion. Hauptsache, Fun.

Vorbei die Zeiten, in denen man sich bis zur Konfirmation von Mami das Outfit vorschreiben ließ. Im vergangenen Jahr erschienen in Deutschland zwei Tween-Zeitschriften: „Girlfriends“ und „Go Girl“. „Girlfriends“ wird vom Verlag Attic Futura beschrieben als „Das erste Lifestyle-Magazin für Kinder“. Mit Titelgeschichten wie „Style dich wie MK+A“ sollen Achtjährige auf die Zukunft als Fashion Victim vorbereitet werden. Hinter dieser Formel stehen Mary-Kate und Ashley Olsen, millionenschwere US-Star-Zwillinge. Die gibt’s auch schon als alles: Modepuppen, Bücher, CDs, Videospiele, Fernsehserie, Kinofilm, Kleiderkollektion. Das Kindermusikduo Lollipops singt zur Melodie des Gospels „Oh When The Saints“: „Was zieh ich an?“ Der Soundtrack zur neuen Kindheit. Fernsehsender, Verlage, Musikfirmen und Spielzeughersteller gehen Hand in Hand, um die zukünftigen Frauen zu umgarnen. Hotels werben mit Kids-Beauty-Centern und Edeka mit dem Rezept für den Kids-Beauty-Brotaufstrich. Für strammes Bindegewebe.

Hanni und Nanni waren gestern. Tatsächlich tragen die Kleinen gern die Mode der Großen, und zwar am liebsten der Großen, die so richtig auf den Putz hauen. In den Kinderabteilungen verkauft sich vor allem, was ganz und gar nicht kindlich ist. Scharfe „Wild, wild Love“-T-Shirt-Drucke dehnen sich über Pfannkuchenbäuchen. „You are the sweetest thing that happened to me“, schmeichelt der Pausbacke. Zweideutigkeiten für Siebenjährige, Babyspeck in Stretch mit Schlag. So richtig gut fühlen sich die Lütten von heute erst, wenn sie aussehen wie Shakira auf Speed. Als könnten sie es nicht erwarten, endlich Liebeskummer und Pickel zu bekommen.

Shakira übrigens gab’s auch schon als Anziehpuppe.

Das Branchenblatt „Textilwirtschaft“ schreibt über Kinderkleidung: „Es waren die modischen Themen, die sich gut verkauft haben in den vergangenen Saisons. Und so wagen es viele Kindermodemacher, für den kommenden Winter den Modegrad noch zu erhöhen.“ Und: „Diesel, Replay, Guess und Co. setzen die Styles der Großen für Kids um.“ Kommt der Markt also daher wie der Rattenfänger von Hameln und lockt arglose kleine Mädchen aus der dezenten Geschmackswelt ihrer Eltern in den Beautyrausch von heute? „Natürlich haben Medien und Industrie Einfluss, aber das Konsumverhalten von Kindern wird vor allem in der Familie geprägt“, sagt Axel Dammler vom Marktforschungsinstitut Iconkids & Youth. Hängt das Kind am glamourösen Gucci- Rockzipfel oder am Anorakärmel von Fjällräven? Bummelt die Familie am Wochenende durch Shopping Malls, oder streift sie in Gummistiefeln durch die Wälder? Ob’s ein eitler Fratz wird, sei doch immer noch stark vom Vorbild der Eltern abhängig .

Für die „Diva Starz“ von Mattel scheint die Zeit jedenfalls noch nicht reif: Die interaktiven Sprechpuppen, Riesenkopf, Riesenfüße, dazwischen ein bisschen Körper, wie eine Fünf-Kilo-Hantel mit Haaren, wurden in den USA ein Verkaufshit, hierzulande eher ein Ladenhüter: Sprüche wie „Oh là là! Ich finde es ganz toll, wie du mich frisiert hast. Ich bin so aufgeregt“ oder „Ich bin deine ganz persönliche Modeberaterin. Wir werden Freundinnen sein“ sind den hiesigen Tweens wohl doch noch ein bisschen unheimlich.